„Touch of Madness“ – Über die Chancen und Grenzen eines deutsch-balkanischen Kulturvergleichs

März 17th, 2017 | 0 comments | permalink

Das Tanz- und Theaterstück „Touch of Madness“ von Katharina M. Horn und Nemanja Mutić setzt kulturelle Grenzerfahrungen buchstäblich in Szene. Es lädt den Zuschauer zu einem deutsch-balkanischen Kulturdialog ein – mit all seinen Idiosynkrasien der Verständigung und Verstrickung. Als „Kultur“ lassen sich jene Sinnbezüge verstehen, die sich nicht vergleichen lassen. Kulturelle Erfahrungen und auf diesen basierende Erwartungen entziehen sich damit einer Vergleichskommunikation, denn Kultur ist eben das, was sich nicht auf einen Nenner bringen lässt. Kulturelle Kommunikation steht damit im Widerspruch zur ubiquitären Vergleichskommunikation in anderen gesellschaftlichen Sphären, wie der Wirtschaft, dem Sport, der Wissenschaft, der Kunst oder den Massenmedien, in denen Vergleiche eine geradezu inflationäre Verselbständigung entfalten. Die einzelnen Sphären der Gesellschaft unterliegen dabei je eigenen Fortschrittsimperativen, ob in Form von Evaluationen, Benchmarks, Rankings, Ratings, Likes, Reviews oder Analogien; kaum ein Bereich ist heute davor gefeit, nicht gemessen, überprüft, kritisiert und dann einer entsprechenden Optimierungserwartung ausgesetzt zu werden.

Die moderne Welt scheint ohne quantitative Vergleiche und die Formulierung immer neuer Vergleichskriterien kaum noch beobachtungs- und bewertungsfähig bzw. -würdig. In der Tat übernehmen Vergleiche wichtige soziale Funktionen. Als Unterscheidungen zweiter Ordnung setzten sie bereits Unterschiedenes in Beziehung. Je nach Vergleichsmaß (tertium comparationis) relationieren sie dabei die damit unterschiedenen Vergleichsgegenstände, wie beispielsweise die Eigenschaften einer Organisation X mit denen einer Organisation Y, die Dispositionen einer Person Z mit denen einer Person N …. Als Beobachtungen zweiter Ordnung strukturieren Vergleiche dabei die Welt, in der wir leben. Aber nicht nur die Fremdwahrnehmung, auch die eigenen persönlichen Wunschvorstellungen und Zufriedenheiten bilden sich erst im Vergleich mit dem, was andere haben und erhalten, so bereits Leon Festinger in seiner Theorie des sozialen Vergleichs (1954).

Dem sozialen Gewinn an Struktur und damit Erwartungsorientierung stehen zugleich auch gesellschaftliche Kosten der Verunsicherung gegenüber. Wenn seit dem 18. Jahrhundert immer mehr – nicht zuletzt aufgrund von ständischen Beobachtungsschranken des Vergleichs – zuvor Unvergleichbares heute Gegenstand des Vergleichs wird, setzt dies alles und jeden unter den Erwartungsdruck, an der Selbst- und Fremdoptimierung mitzuwirken. „Kultur“ als Wert an sich scheint dagegen ein Bereich, durch den sich eine Art Vergleichsverbot zieht. Katharina M. Horn und Nemanja Mutić wagen dennoch – aller soziologischen Erkenntnis zum Trotz – den Kulturvergleich und wählen diesen zugleich als Gegenstand einer gemeinsamen künstlerischen Produktion. Ohne einen festen Vergleichsmaßstab sind Spannung und Konflikt dabei im doppelten Sinne vorprogrammiert. Indem die Tänzer, Schauspieler und Musiker ihre persönlichen Erfahrungen mit der „Kultur des anderen“ in einem deutsch-balkanischen Kaleidoskop von oszillierenden Tanz- und Schauspieleinlagen verarbeiten, setzen sie eine – wenn man so will – unvergleichbare Vergleichskommunikation in Bewegung, die den Zuschauer ein Wechselbad ihrer Gefühls- und Sprachwelten miterleben lässt – über Trauer, Angst, Freude und Wut. Jeder, der einmal länger im Ausland war, fühlt sich an die Inkommensurabilität („madness“) der Differenzerfahrungen und Erlebnisse („touch“) während dieser Zeit erinnert. Paradoxerweise erzeugt das Ensemble mit seiner widerspruchsreichen Vergleichskommunikation über das Leben bzw. die „Kultur des Anderen“ im Zusammenspiel von Tanz und Schauspiel genau das Gegenteil bei seinem Publikum – nämlich ein stabilitätsstiftendes Verständnis für polykontexturale Beobachterperspektiven und die Verletzlichkeiten des Anderen – eine (Ein-)Sicht, die nicht zuletzt im europäischen Wahljahr 2017 eine besondere politische Aktualität gewinnt.

„Touch of Madness“

Katharina Maschenka Horn & Nemanja Mutić

Jan Günther & Jan Novosel

Tour-Daten

16.03.-19.03.2017 um 20:00h: Dock 11 , Kastanienallee 79, Berlin http://www.dock11-berlin.de/index.php/cat/1_6/id/p604_touch-of-MADNESS.html

09.-10.06.2017 um 20:00h: Sarajevski Rating Teatar „SARTR“ , Sarajevo http://www.sartr.ba

16.-17.06.2017 um 20:00h: Perforacije Festival, Zagreb http://www.perforacije.com

30.06.-01.07.2017 um 21:00h: Dom omladine Beograda, Beograd http://www.domomladine.org

Workshop-Daten

22.04.2017 von 15:30-18:30h: Workshop Platforma Festival HR – Tala Dance Centre – Božidara Majorca 50, 10 000 Zagreb http://tala.hr/nekategorizirano/radionica-touch-of-madness-k-m-hornn-mutic/

Literatur

Festinger, Leon (1954): A Theory of Social Comparison Processes. In: Human Relations 7, 117-140.

Heintz, Bettina (2016): „Wir leben im Zeitalter der Vergleichung“: Perspektiven einer Soziologie des Vergleichs. In: Zeitschrift für Soziologie 45 (5), 305-323.

Heintz, Bettina & Werron, Tobias (2011): Wie ist Globalisierung möglich?: Zur Entstehung globaler Vergleichshorizonte am Beispiel von Wissenschaft und Sport. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 63 (3), 161-192.

Heintz, Bettina (2010): Numerische Differenz: Überlegungen zu einer Soziologie des (quantitativen) Vergleichs. In: Zeitschrift für Soziologie 39 (3), 162-181

Luhmann, Niklas (1999): Die Soziologie des Wissens. Probleme ihrer theoretischen Konstruktion. In: Ders. (Hrsg.), Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Band 4. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 151-180.

Luhmann, Niklas (1999): Kultur als historischer Begriff. In: Ders. (Hrsg.), Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Band 4. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 31-54.

Luhmann, Niklas (1992): Ökologie des Nichtwissens. In: Ders. (Hrsg.), Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag, 149-220.

Paradise lost. Risks and adverse dangers of insisting on security

April 28th, 2009 | 0 comments | permalink

Those who would give up essential liberty to purchase a little temporary safety deserve neither liberty nor safety, said Benjamin Franklin (1706-1790), one of the Founding Fathers of the United States in 1759. More than 200 years later the German sociologist Niklas Luhmann brought forward the scientific illumination of Franklins famous words: The outside world knows no risks, for it knows neither distinctions, nor expectations, nor evaluations, nor probabilities – unless self-produced by observer systems in the environment of other systems (2008: 6).

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